Mut zum Fremden (Intro)

MC – am liebsten würde ich bei dieser Abkürzung bleiben; denn für mich persönlich ist diese Diagnose, mit der ich geboren wurde, nicht erwähnenswert. Glücklicherweise hat mich nämlich meine Behinderung im Alltag nie wirklich beeinträchtigt. Im Grunde bin ich gar nicht mit dieser zur Welt gekommen; erst danach haben die Ärzte diese befundet. Vielleicht war mein erstes (existenzielles!) Glück, dass meine Eltern vor meiner Geburt nicht wussten, dass sie ein behindertes Kind bekommen. Folglich sehe ich das Wort Behinderung für meine Person unpassend, ja sogar störend. Denn be-hindert fühl(t)e ich mich an sich nicht.

Sicherlich liegt meiner - sehr geschätzten autonomen Lebensführung ein Anpassungsprozess zugrunde, begleitet von Familie, Freunden, Ärzt*innen, Therapeut*innen und weiteren Unterstützungsmaßnahmen. Allerdings war dieser von Geburt an Teil meines Lebens, also in gewisser Weise normal für mich. Zudem hielt ich mich wohl intuitiv immer in einer Komfortzone auf, in der mich Menschen eben auch als normal oder gleich ansahen. Außerhalb dieses vertrauten Personenkreises hatte ich zum Teil gegenteilige Erfahrungen (mit denen allein ich schon ein ganzes Buch füllen könnte).

Sobald ich auf die Straße ging, begegneten mir Personen, die mich auffällig anschauten – ich mit meinem Bein war auffällig. Da war ich plötzlich der Mensch mit Behinderung.

So wären wir beim Anfang – ich selbst brauche mich eigentlich nicht für das, was ich bin, erklären, aber als für mein Umwelt sehr wohl. Und warum? In unserer Gesellschaft ist es immer noch etwas Ungewöhnliches, wenn man „anders“ ist. Ja, man fühlt sich sogar fremd. Zumindest ist das meine Wahrnehmung.

In Gesprächen mit anderen (!) Menschen, die äußerlich eine Besonderheit aufweisen, sei es eine Behinderung oder andere Hautfarbe, höre und sehe ich, dass sich diese häufig unwohl fühlen. Ihre Erzählungen zeugen oft von einem Schamgefühl. Auf der Straße halten sie lieber den Kopf gesenkt und steuern möglichst schnell ihr Ziel an.

Es handelt sich dabei um Menschen, die mit sich und ihrem Leben selbst gut klarkommen, jedoch nur schwer Anschluss zum gesellschaftlichen Leben finden. Viele bevorzugen ihr Zuhause oder begeben sich nur unter Gruppen mit ähnlichen Merkmalen.

Aus welchem Grund ist dies so? Die Antwort ist einfach und auch logisch – es gibt von diesen Menschen noch zu wenige in unserem Alltag, dass man sie als „normal“ oder uns zugehörig ansieht (oder eben nicht auffallend ansieht).

Nun hat sich Deutschland seit mittlerweile fast 15 Jahren durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention der Inklusion versprochen. Besonders in den südlichen Bundesländern sind nur marginale Fortschritte, was die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verzeichnen. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit als Sonderpädagogin scheitert die erfolgreiche Umsetzung einer inklusiven Schule (zumindest in Bayern) seit vielen Jahren aufgrund ausstehender systemischer Veränderungen. Diese sind notwendig, um Schüler*innen mit Behinderung eine gleichwertige Bildung an Regelschulen zu ermöglichen. Es wird an vielen Stellen geschraubt, aber das Grundgerüst ist immer noch dasselbe, nämlich ein zweigliedriges Schulsystem, das Menschen mit Behinderung grundsätzlich ausschließt oder den Zugang erschwert.

Ich sehe im schulischen Alltag, dass tagtäglich sehr viel Energie von beteiligten Personen und immer mehr Maßnahmen im Sinne der Inklusion aufgewendet werden, eine echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung allerdings ausbleibt. Solange auf politischer Ebene keine größeren Umstrukturierungen erfolgen, ist Inklusion nahezu unmöglich. Naheliegend ist eher das Ergebnis, dass sich vor allem Menschen in der Praxis (u.a. Lehrkräfte, Eltern, Schüler*innen) aufarbeiten, zunehmend frustrieren und im schlechtesten Fall sogar eine ablehnende Haltung gegenüber der Inklusion aneignen. Meine Beobachtungen lassen mich nicht auf eine schnellere Entwicklung in Zukunft hoffen. Dafür habe ich im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit an verschiedenen privaten wie auch staatlichen Schulen und sogar in meinem Alltag(!) erlebt, dass Inklusion durch gewisse vermeintlich „kleine“ Menschen vorangetrieben wird. Es handelt sich dabei um Personen, die Inklusion tatsächlich erfahren und als wertvoll empfunden haben; Menschen, die sich in Folge zu Initiativen, Vereinen zusammengetan haben, um sich gemeinsam für eine inklusive Gesellschaft einzusetzen. Wie schafft man das? Dabei braucht es nicht mal unbedingt ein Bündnis – nein, es braucht lediglich einzelne Personen, die sich Menschen mit einer Behinderung öffnen. Kurz gesagt: Begegnung.

Vielleicht ist es das Ziel dieses Blogs, dass du am Ende die Erklärung der anfangs genannten Diagnose gar nicht mehr wissen willst. Dann sind wir nämlich bei der richtigen Einsicht angelangt: dass ein/e jede/r von uns Menschen unterschiedlich ist und genau das den Mehrwert einer Gesellschaft ausmacht.  

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