Kein Mensch, kein Kind oder Baby etwas dafür, mit welchen Voraussetzungen es auf die Welt gekommen ist. Jede/r von uns kann in jedem Land, in jede Familie geboren werden, kann eine Behinderung haben oder nicht. Wir können es uns weder aussuchen noch beeinflussen, auch im späteren Leben nicht. Ein Unfall kann uns jederzeit zu einem behinderten Menschen machen.
Auch ohne ein besonders schweres Schicksal bringt ein jeder Mensch individuelle Eigenschaften mit auf die Welt, die sein/ihr Leben unabhängig von jeder Bewertung prägen werden. Eine Behinderung kann eine Eigenschaft sein, die unter Umständen einen besonders großen Einfluss auf die persönliche Entwicklung haben kann. Dennoch hängt auch diese stark von der Gesellschaft, seinem sozialen und kulturellen Umfeld, ab, in der ein Mensch aufwächst.
Ich kann aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus sagen, dass ich als Mensch in vielerlei Hinsicht von meiner Umwelt geprägt wurde, sowohl im Positiven als auch Negativen. Tatsächlich war dies auch stark ortsabhängig.
Seit meiner Jugend habe ich verschiedene Städte, Länder besucht. Dabei stellte ich fest, dass meine Aufenthalte unterschiedliche Lebensgefühle auslösten. Während ich mich in meinem Heimatland und auch den benachbarten Ländern oft als sonderbar angesehen fühlte, sei es auf öffentlichen Plätzen oder auch in privaten Kreisen, fühlte ich mich als Mensch mit Behinderung in Ländern wie Finnland oder Italien völlig angenommen. Woran liegt das? Nachdem ich mich mit dem nationalen Sozial- und Bildungssystem vor Ort, konnte ich Erklärungen für meine veränderte Wahrnehmung finden. Länder, in denen Inklusion nicht nur in Gesetzestexten, sondern tatsächlich in der Gesellschaft gelebt wird, nehmen Menschen mit einer Behinderung als gleichwertiges Mitglied war. Die Teilhabe aller Menschen ist besonders in skandinavischen Ländern schon lange keine Frage mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit. Demnach wird ein hoher Wert daraufgelegt, Personen mit einer Behinderung einen barrierefreien Zugang zu allen Aktivitäten des öffentlichen wie auch privaten Lebens zu gewährleisten.
Gesellschaftliche Systeme wie die in Finnland ermöglichen eine natürliche und gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit Behinderung am alltäglichen Leben. Natürlich – denn wir sind von Natur aus verschieden und das ist auch gut so.
Demnach lassen sich fortschrittliche Entwicklungen hin zur Inklusion in jenen Ländern durch politische Maßnahmen, in Form sogenannter Top-down-Prozessen, begründen. So geht es beispielsweise in Finnland nur mehr eine Schule für alle (en skola för alla), das heißt Kinder/Jugendliche mit und ohne Behinderung werden gemeinsam beschult. Förderschulen bestehen nur mehr für wenige, hauptschlich für Sinnesbehinderungen. Im Austausch mit Lehrer*innen wie auch Schüler*innen hörte ich eine gewisse Selbstverständlichkeit heraus, was sowohl den Umgang als auch das gemeinsame Lernen mit behinderten Menschen anbelangt. Inklusion ist dort zur Normalität geworden.
In Deutschland hingegen ist Inklusion nach wie vor ein theoretisches Konstrukt, dass nur an wenigen Orten gelebt werden kann. Wie kann es auch möglich sein, wenn der Großteil an Schüler*innen in Förderschulen unterrichtet wird. Den Regelschulen mangelt es an räumlichen wie auch personellen Ressourcen, um den Bedürfnissen einer – noch heterogeneren Schülerschaft gerecht zu werden.
Eltern, deren Kinder einen erhöhten Förderbedarf haben, sind mit dem Unterricht an Regelschulen vermehrt unzufrieden, da Förder- und Unterstützungsmaßnahmen fehlen oder nicht den Bedürfnissen ihrer Kinder entsprechen. Folglich wählen sie die Förderschule als geeigneteren Lernort, auch wenn sie eigentlich eine inklusive Beschulung ihrer Kinder bevorzugen würden. Zugleich ist auch seitens der Lehrkräfte zunehmend Verzweiflung zu spüren, indem sie an ihre Grenzen stoßen.
Mittlerweile gibt es in Deutschland einige, zwar vorwiegend immer noch private, aber auch staatliche Schulen und Organisationen, die sich der Inklusion versprochen und auch erfolgreich umgesetzt haben. Auf den anderen Seiten hier finden Sie entsprechende Links und Informationen dazu.
Was macht eine inklusive Schule aus? In erster Linie bietet sie Begegnungsräume, Möglichkeiten, damit Menschen mit und ohne Behinderung einander begegnen. Die Begegnung ist der Kern von Inklusion. Daraus entstehen positive Erfahrungen, die Menschen hinsichtlich einer inklusiven Gesellschaft überzeugt. Ich selbst habe den Aufbau einer privaten inklusiven Grund-, mittlerweile auch Mittelschule in Oberbayern begleitet (weshalb ich als Österreicherin nach Bayern gezogen bin). Kinder/Jugendliche mit teils sehr unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Behinderungen, von der Hochbegabung bis zur Mehrfachbehinderung haben tagtäglich ihren Schulalltag gemeinsam verbracht. Trotz der anfänglichen Skepsis seitens ein paar Eltern wie auch Pädagog*innen – sehr bald waren alle von dem Konzept überzeugt und gelten heute als Multiplikator*innen von Inklusion. In Deutschland arbeiten die Mühlen zumindest im Bildungssystem langsam, umso stärker braucht es sozusagen das "einfache" Volk, das den nötigen Druck ausübt und im Sinne eines Bottom-up-Prozesses eine Veränderung in unserem politischen System bewirken kann. Wie wir das schaffen – durch Begegnung. Dieser Ansatz gilt keineswegs nur für die Schule, sondern für jeden anderen Lebensbereich wie zum Beispiel Freizeit, Arbeit. In jedem Fall braucht es unter Umständen Mut, denn derartige Begebenheiten zwischen Menschen mit und ohne Behinderung entsprechen (noch) nicht der Normalität unserer Gesellschaft.
Dabei stellt sich die Frage – was oder wen verstehen wir eigentlich als normal?
Bevor ich mich konkreten Möglichkeiten der Begegnung widme, lohnt es sich einen Schritt zurück, dem Ursprung oder der Notwendigkeit von Inklusion auf den Grund zu gehen... Lies demnächst meinem weiteren Beitrag!
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