6 Be-hindert sein oder werden?

Überlegt man sich mal, was das Wort Behinderung an sich bedeutet, dann weist der Begriff (Be-hinderung) auf ein Hindernis hin, wodurch ein Mensch beeinträchtigt, also tatsächlich be-hindert wird. Solche Barrieren können beispielsweise Personen mit einer geistigen, körperlichen oder Sinnesbehinderung betreffen; das kann für einen Rollstuhlfahrer eine Stufe vor einem Restaurant oder für einen sehbehinderten Menschen ein wichtiger Hinweis in einem öffentlichen Raum ohne entsprechende Audiofunktion sein.

Hindernisse sind demzufolge subjektiv zu betrachten, da sie von den unterschiedlichen Voraussetzungen eines Menschen abhängen und entsprechende Konsequenzen für den ein oder anderen bedeuten können. Andersrum werden unter Umständen Barrieren von Menschen mit mehr oder weniger gleichen Voraussetzungen unterschiedlich gehandhabt. Zum Beispiel kann eine sich schwer öffnende Tür für den/die eine/n Rollstuhlfahrer*in schwer zu bewältigen sein, für den/die andere/n hingegen eine Leichtigkeit darstellen (aufgrund einer persönlichen erlernten Technik oder besonderen Ausstattung des Rollstuhls). Dennoch gilt es, allen Menschen den Zugang zu öffentlichen Gebäuden und auch allgemein die Teilhabe am öffentlichen wie auch privaten Leben zu ermöglichen.

Barrieren sind allerdings nicht immer offensichtlich. Einem Menschen ohne Beeinträchtigung fallen diese nur selten auf. Oft bemerkt man jene erst, wenn man selbst davon betroffen ist, sei es durch einen Unfall oder einen zu begleitenden Angehörigen. Ich wünsche keiner/m im Rollstuhl sitzen zu müssen; doch sollte ein jede/r mal damit in den Drogeriemarkt fahren – Sie werden erfahren, wie schwierig es ist, durch die zum Teil sehr engen Gänge zu gelangen, ohne spätestens an der Kurve oder bei vorbeigehenden Personen nichts zu berühren, im schlimmsten Fall runterzuwerfen.  Oder Sie versuchen ein Produkt von einem höheren Regal zu holen, geschweige denn an der Kasse mit Kreditkarte zu zahlen – unmöglich (der Schalter ist zu hoch!). Sollte die Person dann jedes Mal um Hilfe bitten, vielleicht einer fremden noch das Passwort der Mastercard demonstrieren? Nein. Menschen mit einer Behinderung sollten es nicht noch schwerer haben als sie es eh schon haben. Überspitzt gesagt, könnte man solche erschwerten Umstände als Bestrafung dafür sehen, dass man eine Behinderung hat – für die man allerdings nichts kann.

Möglicherweise ist es uns egal, solange wir selbst gesund sind oder nicht mit diesen Hindernissen im Alltag konfrontiert werden. Dann sollten wir uns dennoch vor Augen halten, dass sich unsere körperliche Verfassung sehr schnell ändern kann.

Es gibt zu viele Beispiele für Situationen, in denen Menschen mit einer Beeinträchtigung aufgrund von Barrieren benachteiligt, ja sogar ausgeschlossen werden. Nicht nur technische Installationen im Alltag, sondern auch bürokratische Hürden sind leider immer noch der Fall. Achten Sie beispielsweise einmal darauf, wie viele behördliche Briefe in sehr komplexer anstatt in einfacher oder leichter Sprache geschrieben, übersetzt werden. Sowohl für Menschen mit einer geistigen Behinderung wie auch für jene mit Migrationshintergrund kann dies den Erwerb von Informationen stark beeinträchtigen. Spätestens wenn sie selbst in einem fremden Land sind und die Amtssprache (einschließlich des Fachjargons) noch nicht umfassend beherrschen, werden Sie die Problematik verstehen. Selbst mit Google-Übersetzer werden Sie den Sachverhalt möglicherweise nicht gänzlich oder womöglich falsch erfassen können.

Ich selbst habe mich nur selten be-hindert gefühlt. Damit schätze ich mich sehr glücklich; denn ich weiß, dass dies bei vielen Menschen, besonders mit einer körperlichen Beeinträchtigung, nicht der Fall ist. Eine Be-hinderung ist mir interessanterweise in einem gegensätzlichen Kontext widerfahren, und zwar wenn ich von Personen aufgrund meiner Gehbeeinträchtigung bevorzugt wurde. Sei es beispielsweise die vergünstigte Kinokarte, der separate Sitzplatz - für Personen im Rollstuhl - oder die verpflichtende(!) reduzierte Zahl an Arbeitsstunden. Ich arbeite sehr gerne, fühle mich auch nicht mehr belastet als meine Kolleg*innen und sehe keinen logischen Grund, warum ich weniger Eintrittsgeld für einen Film zahle als andere. Für Menschen, für die der nicht barrierefreie Eingang ins Kino problematisch ist, würde es eher Sinn ergeben. Nun könnte man meinen, ich solle gefälligst froh sein, auch gewisse Vorteile als Mensch mit Behinderung zu haben. In manchen Fällen bin ich es auch, aber nur wenn ich jene Maßnahmen tatsächlich benötige (wie zum Beispiel den Parkausweis, um einen nahegelegenen Abstellplatz zu finden). Ansonsten fühle ich mich als Mensch in gewisser Weise wieder als etwas Sonderbares.

Bestimmte Angebote können also auch eine Einschränkung oder Degradierung für den betroffenen Menschen bedeuten, insbesondere wenn (zumindest aus deren subjektiver Sicht) ihre Fähigkeiten unterschätzt werden. In meinem eigenen Fall und Arbeitsplatz sehe ich mich mit den zwei ermäßigten Unterrichtsstunden in der Entfaltung meiner eigenen Möglichkeiten, Begabungen eingeschränkt. Vielleicht möchte ich beim Eintritt zu einem Konzert mit in der Menge (an)stehen, als neben allen Menschen vorbei durch einen Extra-Eingang gehen. Mir ist klar, dass hinter all diesen Bestimmungen keine böse Absicht steckt, Dennoch wird nicht jede gut gemeinte Maßnahme von der betroffenen Person als solche wahrgenommen (an anderer Stelle würde man sich solche eventuell wünschen). Ein guter Grundsatz für unser Handeln in Bezug auf Menschen mit einer Beeinträchtigung sollte sein: so viel Hilfe wie nötig und so wenig Hilfe wie möglich.

Es verlangt viel Empathie, sich in die Situation von Menschen mit Behinderung hineinzuversetzen, um ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu erfassen. Am besten gelingt dies durch den persönlichen Austausch mit ihnen. Eventuell braucht oder will er/sie die vorgesehene Unterstützung gar nicht oder benötigt diese auf eine andere Art? Nur weil wir, die gar nicht selbst betroffen sind, diese Wahrnehmung oder Meinung besitzen, heißt es nicht, dass eine andere Person dieselbe hat. Hier ist ein Perspektivenwechsel notwendig, der nur durch eine persönliche Kontaktaufnahme (zum Beispiel in Form einer Befragung) erfolgen kann. Damit wären wir wieder an dem Punkt angelangt, worauf es bei allen Entwicklungsprozessen hin zur Inklusion ankommt – Menschen müssen einander begegnen.  

Meine Darstellungen sollen keineswegs ein Vorwurf sein; vielmehr ist es auch bei dieser Thematik mein Ziel, Menschen zu sensibilisieren und motivieren, die Sichtweise der betroffenen Menschen einzunehmen. Und das geht wiederum nur durch die aufsuchende Begegnung.

Seien es tatsächliche Barrieren, die behoben werden müssen, oder die unterlassene (unnötige) Hervorhebung einer Person mit Handicap – es geht letztendlich um eine Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung im Sinne einer echten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die volle Anerkennung von Menschen mit jeglicher Art von Unterschiedlichkeit, sei es eine Behinderung oder der Migrationshintergrund, als gleichwertige Mitglieder unserer Gesellschaft – das ist das Ziel von Inklusion. Wenn es doch so einfach wäre - oder ist?!

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.